Nikolai Vogel: Belichtung Kunst Bodybuilding

Rede zur Eröffnung der Platform3 am 20. März 2009 in München
 

BELICHTUNG KUNST BODYBUILDING

Licht war der Anfang! Herzlich Willkommen. Wie aber soll man es sichtbar machen für die Erinnerung? Licht in der Chauvet-Höhle, in der Höhle von Lascaux oder der Apollo 11 Cave. Licht, das vor Jahrtausenden geschienen hat, gemalt auf Höhlenwände, Licht ins Dunkle gebracht. Wo sind wir? Anfang des 19. Jahrhunderts gingen die Maler raus, mit ihren Farben, ihrer Staffelei, stellten sie in die Wiese, auf Äcker und Wege und beeilten sich unter der Sonne, den Tag zu bewahren. Wind, Wolken, Regen, die Schleier des Nebels - alles galt es zum Bleiben zu überreden, auf die Leinwand. Und freilich gab es von Anfang an Tricks. Etwa den, so zu tun, aber das Eigentliche, das Bild, im bequemen Atelier zu vollenden. Und sich im Ruhm des Plein-Air zu sonnen! - Und dann kam die Fotografie! Das aus der Dunkelkammer geborgene Licht. Das Lichtbild auf lichtempfindlichem Material. Um Abbilder zu schaffen bedarf es zunächst der Dunkelheit. Das winzige Loch der Camera Obscura - auch sie eine Höhle - lässt die Welt hinein. Und noch vor der Welt war das das Weltall - seit dem 11. Jahrhundert betrachtete man auf diese Weise die Sonne, das, was das Licht macht also. Dann kam die Heliographie, Asphalt auf Zinnplatten, Belichtungszeit acht Stunden. Dann kamen polierte Kupferplatten, mit Iod- und Bromdämpfen lichtempfindlich gemacht, belichtet und mit Quecksilberdämpfen entwickelt - das Bild schwärzliches Silber, metallische Unikate. Dann der Salzdruck und die Kalotypie, die Erfindung des Negativs und damit Vervielfältigung. Fotografie. Dann die Autotypie, das erste Rasterverfahren zur massenmedialen Verbreitung von Fotografien im Buchdruck, erfunden in München. Und das Licht wurde erinnert, halbwegs, und nun galt es Töne zu bewahren. Aber wie um alles in der Welt sollte das aussehen? Angefangen hat es mit einer Schweineborste, die auf rußgeschwärztem Grund vibrierte, und die Schwingungen einer Membran aufnahm. Aus Ton wurde etwas, was man sah. Und dann kam Edisons Phonograph, der Klangschreiber, die Sprechmaschine, Stanniolpapier auf einer Walze, in die eine Nadel Schwingungen graviert. Dann nahm Bell noch Wachs dazu und machte Schallplatten. Ich bin ein Graphophon und meine Mutter ist ein Phonograph, war das Erste, was darauf zu hören war. Und dann die Frage, wie das jedermann kann - seine Stimme festhalten, seine Bilder aufnehmen. Wo sind wir? Fotopapiere, Tonbänder: Hier wurden sie gemacht und gingen in die Welt, zu sehen, was man sah, zu hören, was man hörte. Im ehemaligen Perutz-Werk, das die Aktiengesellschaft für Anilinfabrikation, kurz AGFA 1964 übernommen hat. Die Perutz Photowerke in München produzierten zunächst fotografische Platten, ab 1922 auch Rollfilme. Und die AGFA errichtete hier ihre großen Magnetbandfertigungsanlagen, die dann zum Jahreswechsel 1990/1991 an die BASF gingen, um ab 1997 als EMTEC zu firmieren. Einer Firma für die Beschichtung von Magnetbändern also, die hier, in der Kistlerhofstraße 70, bis zur Schließung im Jahre 2004 auch die für diese Beschichtung nötigen Magnetbandlacke herstellte. Ein immissionsschutzrechtlich genehmigter Betrieb. Seine lufthygienische Verträglichkeit wurde im Rahmen der Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 1895 (ehem. Agfa-Perutz-Gelände) im Jahre 2001 gutachterlich untersucht. Gemäß der Untersuchung konnte dann für die dem Emissionsort unmittelbar gegenüberliegenden Bereiche davon ausgegangen werden, dass keine Immissionskonzentrationen auftreten, die eine Gesundheitsgefährdung bewirken, keine Geruchshäufigkeiten auftreten, die über 10 % der Jahresstunden liegen und somit erheblich sind, gelegentliche Geruchseinwirkungen jedoch auftreten, die über dem im innerstädtischen Bereich typischerweise anzutreffenden Niveau liegen - wie man im Bebauungsplan mit Grünordnung Nr. 1930a unter Punkt 3.7.2 "Luftschadstoffe, Gerüche" nachlesen kann. Bis 2004 lagen hier also - manchmal auf Kosten der Frischluft - Frischbänder, bereit Eindrücke zu empfangen, aufzuwickeln, wiederholt abzuspulen. Rücklauf und schneller Vorlauf: Wo sind wir? In der Kistlerhofstraße. Wer war Kistler? Etwa Cyrill Kistler? Geboren 1848 in Großaitingen, Schwaben, gestorben 1907 in Bad Kissingen, ein Komponist, Musiktheoretiker, Musikpädagoge und Verleger. Hat in München studiert, galt als Richard Strauß ebenbürtig, ist heute ziemlich vergessen. Doch mit Cyrill waren wir auf der falschen Spur! Die Straße ist nach dem Hausnamen eines ehemaligen Anwesens in Obersendling benannt, erfahre ich im Stadtarchiv. War das ein Bauernhof? Das konnte mir das Stadtarchiv auf die Schnelle nicht beantworten. Klappe, die Nächste: Wo sind wir? Hier, in einer neu bezogenen Atelieretage. Alles noch frisch, der Staub der Bohrmaschinen erst verflogen, die Planen vom Weißeln abgedeckt, der Boden im Gang neu gelegt. Alles bereit für Belichtung. Wo sind wir? Im dritten Stock. Über uns wird Musik gesetzt und Kugeln ziehen ihre Bahn. Laufen mal mehr und mal weniger nach vorhergesehenen Winkeln an die Banden und in die Löcher. Unzählige kleine Zusammenstöße. Unter uns Handschuhe und in Apparaturen schwitzende Menschen. Vielleicht nicht die schlechteste Umgebung! Kunst ist Kopf und Körper - Bodybuilding und Billard. Mit Handschuhen muss man die Kunst zwar nicht unbedingt anfassen, es sei denn empfindliche Bilder beim Hängen. Bodybuilding ist eine Sportart, bei der die Modellierung des Körpers durch gezielte Muskelübungen in der Regel unter Verwendung von Fitnessgeräten im Mittelpunkt steht. Das Wort Kunst bezeichnet im weitesten Sinne jede entwickelte Tätigkeit, die auf Wissen, Übung, Wahrnehmung, Vorstellung und Intuition gegründet ist (Heilkunst, Kunst der freien Rede). Im engeren Sinne werden damit Ergebnisse gezielter menschlicher Tätigkeit benannt, die nicht eindeutig durch Funktionen festgelegt sind. Die Belichtung fotografischen Aufnahmematerials wird von drei Faktoren bestimmt: der Empfindlichkeit, der Blende und der Zeit. Sie ist ausgewogen, wenn Lichter und Schatten im Bild noch Zeichnung aufweisen. Drei Artikel-Anfänge in einem sehr populären Lexikon ... (1) Drei Einträge, die davon handeln, wie ein Eindruck ausgedrückt werden kann. Um Eindrücke zu haben braucht man Aussichten. Wo sind wir? Nennen wir es Platform3. Von einer Plattform aus hat man gute Aussicht oder man wartet auf den Zug, der einen anderswohin bringt, ein Aufbruch, von einer Plattform aus bringt man Dinge an den Mann, eine Plattform trägt das, was darauf entwickelt wird, sie ist eine Versuchsumgebung. Fernrohre haben wir keine aufgestellt - für die Blicke wird hier genug entwickelt, die Aussichten sind an den Wänden und in den Räumen, müssen von dort erst noch nach draußen finden. Platform3 - drei Säulen, das klingt klassisch, auf drei Füßen kann man aber auch wackelig stehen, wenn der vierte fehlt. Man muss balancieren, man fühlt sich nicht zu sicher, man bleibt in Bewegung, und darum geht es, Körper und Kopf. Wir sind nicht an den grünbezogenen Tischen, wir sind nicht in den Muskelmaschinen, wir beschichten keinen Rohfilm oder Tonbänder, wir arbeiten direkt an den Entwicklungsverfahren, wir nehmen das Licht und den Klang und die Zeit um die Körper und wir machen etwas daraus. Was wird man sehen. Wir haben Tagundnachtgleiche, Frühlingsanfang! Die Räume warten, die Platform3 steht, es schadet nicht, zunächst zu tanzen!
 

Nikolai Vogel
am 20. März 2009



1: Wikipedia, Stand März 2009.

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