Nikolai Vogel: Alpha Centauri

Rede zur Ausstellungseröffnung "I love no waiting, Alpha Centauri" am 2. Mai 2008, Atelier Kyreinstraße 4, München
 

Nikolai Vogel - Speeches, Reden: Alpha Centauri
 

ALPHA CENTAURI

Alpha Centauri ist das der Erde am nächsten gelegene Sternensystem. Es handelt sich dabei um einen Doppelstern, Alpha Centauri A und Alpha Centauri B in etwa 4,34 Lichtjahren Entfernung von unserer Erde. Womöglich gehört auch der noch ein wenig nähere Rote Zwerg Proxima Centauri dazu, 4,22 Lichtjahre weit weg. Ein Katzensprung also. Mit heutigen Raumsonden in einer Reisezeit von gut 30.000 Jahren zu erreichen. Vielleicht etwa genauso weit entfernt, wie die Chauvet-Höhle, die Höhle von Lascaux oder - und damit sind wir zumindest den Worten nach wieder in Richtung All unterwegs, der Apollo 11 Cave in Namibia.

Dass Kunst aus Höhlen kommt, ist nichts Neues. Und nach wie vor gilt: Ein gutes Atelier ist immer zugleich Höhle und Baustelle, Brutstätte und Grab, Versteck und Sternwarte.

Alpha Centauri. Der erste Stern im Sternbild Kentaur. Kentaur, ein Pferdemensch. Ein Doppelwesen, ein Mischwesen, halb Mensch, halb Pferd.

Bisons, Auerochsen, Hirsche, Wollnashörner, Wildschweine, Löwen, Leoparden, Mammuts, Bären, die menschliche Hand - gemalt vor 30.000 Jahren, vor 26.000 Jahren, vor 17.000 Jahren. Die Zeit vergeht. Sie entfernt sich und wir sind jetzt die Reisenden, die sie aufspannen, die zurückblicken, ins All.

Wir sind heute Abend in einer Höhle. Sie sehen Wandzeichnungen, Wandmalerei und ihre moderneren Abkömmlinge, die sich von der Wand ein wenig gelöst haben, die als Stück Wand an andere Orte gebracht und anderswo als Wand eingesetzt werden können. In Wohnungshöhlen, Galeriehöhlen, in die Höhle MoMA, in die Höhle Guggenheim, in die verzweigten Höhlensysteme der Pinakotheken. Eine Höhle ist Erfindung, eine Höhle ist ein Speicher und ein Echoraum. Sie behält vieles und setzt Erinnerung frei. Zeit scheint hier anders zu vergehen. Sie bleibt mehr ein Neben- als ein Hintereinander. Aus der Höhle der Zukunft in die Höhle der Kindheit, die immer präsent bleibt, auch wenn einige Gänge manchmal nicht mehr zu passieren sind und erst wieder neu freigelegt werden müssen - sich freilich mischen, mit dem, was danach kam. Die Kindheit ist immer ein Konstrukt, ein Privatmythos.

Sie befinden sich in einem Atelier, in einer Atelierhöhle, einer Höhle, die die Errungenschaften moderner Zivilisation zwar beherbergt, aber damit, wie Sie sehen, nicht übertreibt. Ein Urinal etwa ist hier gleich doppelt abwesend, als Kunstwerk und als Toilette. Entdecker nehmen Strapazen auf sich. Entdecker können die Beine zusammenkneifen. Wir sind beides: Höhlenbewohner und Höhlenentdecker. Höhlensystem Körper, Flüssigkeitshaushalt. Jäger und Sammler. Steter Tropfen höhlt den Stein. Wir wollen keinen Wettbewerb daraus machen.

Die in der Höhle sind, sehen nur Schatten, sagt Plato. Aber er sagt auch, dass wir kaum aus der Höhle hinaus können. Die Maler haben damit angefangen. Sie verwandeln die Höhlenwände in Welt. Sie spannen den Raum auf, wie die Lichter der Sterne die uns umgebende Höhle des Alls. Was machen wir mit den Räumen, die uns umgeben. Und wie lassen wir in diese Räume etwas hineinsehen, was weiter ist, was Wege zurücklegt - in uns und durch die Zeit.

I love no waiting die Dritte. Herzlich willkommen, meine Damen und Herren - endlich also die Begrüßung unserer Gäste. Willkommen zur Höhlenexpedition. Seien Sie vorsichtig, aber haben Sie keine Angst. Wir sind neugierig auf ihre Neugierde. Bisweilen wurden wir gefragt, ob wir eine Künstlergruppe sind.

Sebastian Pöllmann: bist Du eine Künstlergruppe?
Claudia Göcke: bist Du eine Künstlergruppe?
Silke Markefka: bist Du eine Künstlergruppe?
Nikolai Vogel: bist Du eine Künstlergruppe?

I love no waiting ist eine Ausstellungsreihe. Vier verschiedene Positionen. Ein Blick hinaus. Eine Gestaltung der Höhle. Eine Einladung an andere Höhlenbewohner. In wie weit sie gegenseitig anregen, ergänzen, widersprechen und ähneln wird zu sehen sein. I love no waiting geht weiter im Herbst. I love no waiting geht dann in den Weltraum.

Wir unterscheiden uns nicht. Wir sind die nächsten Vorfahren. Wir wollen unsere Zeit nutzen. Wir bewundern die, die das vor uns getan haben. Die uns gezeigt haben, wie es gehen kann. Wir wollen lieber die Höhlenbewohner als den Ackermann. Lieber die Felszeichnung als den Live-Ticker. Lieber den staunenden Blick ins All als die Spekulation an der Börse. Lieber die Liebe als das Formblatt. Lieber die Erregung der Körperhöhlen als die Befüllung der Schließfächer. Lieber das Probieren und genaue Hinsehen, als das Immer-schon-alles-besser-gewusst-haben und das Aus-dem-Hörensagen-urteilen. Die Augenhöhle und das komplizierte Höhlensystem des Ohrs. Lieber schauen und hören Sie selbst!
 

Nikolai Vogel
am 2. Mai 2008


Photo © by Eltorn
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