Nikolai Vogel: Solar Fire

Rede zur Ausstellungseröffnung "I love no waiting, Solar Fire" am 17. August 2008, Isarufer, München
 

Nikolai Vogel - Speeches, Reden: Solar Fire
 

SOLAR FIRE

Die Sonne hat es ja spannend gemacht, die Sonne macht es immer spannend, das heißt eigentlich sind es ja die Wolken, die es spannend machen, und der Wind, der sie vor sich herdrückt. Der Wind, der die Wolken zusammenballt und auswringt. Einen ordentlichen Tropfenteppich hat er da erzeugt, die letzten Tage. Ja, wer will nicht hoch hinaus. Und hat den Isarpegelstand also nur so vor sich hergetrieben. Von 90 cm auf über 200. Den Fluss breit gemacht und mit den Farben der Wiesen und Äcker eingefärbt, die Erde eingenässt und klar gemacht, wo der Bartl den Most holt. Und wenn es dann so schüttet, stelle ich mir vor, wie das geht, dass das immer so runterkommt, wie durch ein Sieb geschüttet, und dass das doch ganz praktisch ist, dass so eine Wolke ihr Wasser nicht ganz einfach auf einmal entleert. Das stelle man sich mal vor: plötzlich so ein Wasserfall von oben, unvermittelt, der da mit voller Wucht daherrauscht - und die Lachse fangen ihren Versuch an, hochzusteigen an ihm, ins Wolkenrevier, aber der Himmel läst sich nicht urbar machen, habe ich mal in einem Gedicht gelesen, einem guten Gedicht. Das Wasser kommt so heute glücklicherweise nicht von oben, das heißt, natürlich kommt es von oben, aber nicht von ganz oben, zumindest nicht direkt, nur vom Oberlauf des Flusses, aus der Mündung der Isar, rauscht herab aus dem Gebirge, nimmt Fahrt auf und sammelt auch unterwegs Flüssigkeit, nimmt sie auf in seine Strömung. In der Kunst spricht man ja viel von Strömungen. Kunstströmungen. Welche fallen uns da ein? Wer ist wo mitgeschwommen, mitgeströmt? Auf welchem Stil dahergeschwommen, durch welche Epoche hindurch? Aus der Klassik in die Romantik und weitergeschwommen. Vom Realismus in den Impressionismus, vom Impressionismus in den Pointilismus, vom Pointilismus in den Dada, vom Dada in den Surrealsimus, aus dem Surrealismus in die Arte Povera. Strömung hier und Strömung da. Auch I love no waiting hat sich heute also in die Strömung gewagt. Wir sind keine, sondern wir arbeiten in ihr. Wir schwimmen nicht mit ihr, sondern lassen sie unten durch. Eine Schwimmübung im Fluss, ein Tanz auf der Strömung. 140 Paar Schwimmärmchen - das sind 280 Schwimmärmchen, das sind 560 Schwimmärmchenkammern die man mit Luft aufblasen muss. Dass I love no waiting eine gute Puste hat, betrachten wir hiermit als erwiesen. (Auch wenn wir nicht ganz alle gebraucht haben: mit 134 Paar waren die Buchstaben voll, sechs blieben übrig.) Sebastian Pöllmann, du hast eine gute Puste! Claudia Göcke, du hast eine gute Puste! Silke Markefka, du hast eine gute Puste! Nikolai Vogel, du hast eine gute Puste! (Den Blasebalg haben wir schon versteckt? - Ja ja, auch in der Kunst wird mit Tricks gearbeitet.) Die Verwirklichung dieser Idee, dieser in der Isar tanzenden Buchstaben, ermöglichte uns die Firma Beco, die uns die Schwimmhilfen, wie die Schwimmärmchen amtlich heißen, großzügig zur Verfügung gestellt hat. Vielen Dank dafür! Dass der Mittelstand der Kunst beim Schwimmen hilft, finden wir sehr schön! Dass auf unsere Anfrage tatsächlich ein Paket kam, mit all diesen Paaren, die jetzt in der Isar hüpfen und tanzen, freut uns sehr! Schwimmhilfen für Künstler sind ja auch angebracht, derzeit, dass man in der ganzen spekulativen Kunstmarktsauce nicht untergeht. Da herrscht ja Hochwasser allerorten, ob in Basel oder Miami Beach. Da gibt es immer wieder böse Strudel, die am Ranking ziehen. Da tut ein Luftpolster, das einen oben hält, schon gut! Schwimmhilfen, Schwimmärmchen, oder vielleicht am schönsten: Schwimmflügel. Als Kind träumte ich gelegentlich, dass ich Fliegen kann. Was für ein Gefühl! Schwierig war es nur an Höhe zu gewinnen, nicht an den Bäumen hängenzubleiben - aber ich konnte fliegen, als Kind, im Traum ... allerdings nur mit Schwimmflügeln! Das klingt ja soweit auch logisch! Also haben wir uns gut eingedeckt mit dem Stoff aus dem Kindheitstraum. Von einem aufs andere Ufer: I love no waiting schwimmt und tanzt heute auf der Isar, die darunter hinwegströmt, auf dem Weg ins noch Größere. Die Isar selbst bekommt ihre I love no waiting Schwimmhilfe, ihre I love no waiting Schwimmärmchen, ihre I love no waiting Schwimmflügel. Damit sie fliegen kann. Damit sie froh ist. Ist das eine Ausstellung? Sehen Sie es sich an, von hier, von der Brücke. Wir haben Sommer. Wir sind unter der Sonne. Sonne und Wasser. Legen Sie etwas auf den Grill, nehmen Sie sich ein Bier. Entscheiden Sie Ihren Lichtschutzfaktor. Unsere Kunst schwimmt heute vor unseren Augen. Schwimmt durch den Tag und in den Abend. Wir sind alle Schwimmer. Wir träumen alle vom Fliegen. Den Ikarus-Traum. Die Sonne brennt im Himmel. Wir wissen es. Wir kommen ihr nicht zu nahe, aber wir halten ihr unsere Bäuche hin. Und unser Schwimmflügel. Ohne Sonne ist es nichts! Solar Fire! Im Herbst geht es weiter, in den Weltraum am 10.10. Bis dahin einen guten Appetit und nicht vergessen: viel trinken, für die Eigenströmung!
 

Nikolai Vogel
am 17. August 2008


Photo © by Eltorn
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