Nikolai Vogel: Selbstbeschreibung

Text der Eröffnungsperformance zur Ausstellung "Endless Retrospective" (Ausstellungsbilder) von Nikolai Vogel in der Artothek München, dort zur Vernissage am 12.05.2015 abgespielt mit tragbarem Kassettenrekorder von einer 6 Minuten Endloskassette, so dass die Eröffnungsansprache auch weiterhin den Besuchern der Ausstellung zur Verfügung stand.
 

Nikolai Vogel - Speeches, Reden: Selbstbeschreibung / Die Selbstbeschreibung während des Artist Talks am 21.05.2015
 

SELBSTBESCHREIBUNG

Endlos. Wieso Endlos? Ich bin nicht endlos. Das Leben ist nicht endlos. Nichts ist Endlos. Nicht einmal das Universum ist endlos. Das All ist nicht endlos, nach allem, was wir wissen. Nicht endlos vielleicht, aber vielleicht wiederholt sich das Endliche endlos? Nichts ist endlos, aber die Theorie gibt es her. Die Mathematik. Die Zahlen. Oder eine Gerade, die Sie sich vielleicht gerade vorstellen, in ihrem endlichen Kopf. Ein geschlossener Kreis ist endlich und endlos. Seine Linie hört nie auf. Ein besprochenes Band, dessen Ende sein Anfang ist. Hört nie auf, in der Theorie. In der Praxis schon. Es nutzt sich ab, irgendwann, wird dünner, reißt vielleicht. Oder die Bandmaschine geht kaputt. Oder wird einfach ausgeschaltet. Weil die Öffnungszeiten der Artothek nicht endlos sind. Oder man geht einfach weg. Etwas essen. Sich mit Freunden unterhalten. Mal was anderes hören. Aber oft ist es immer dasselbe. Das, was man immer wieder hört. Und vielleicht mit dem wiederholten Hören anders versteht. So dass jede Wiederholung, und sei sie noch so endlos, einzigartig ist, ein besonderer, unwiederholbarer Moment. Das, was man nicht ausdrücken kann, auch wenn man es noch so oft sagen will. Von einer unbeschreiblichen Farbe etwa. Was sehen Sie da? Was bildet sich in Ihrer Vorstellung. Gemälde. Es ist Ihr Assoziationsraum, es sind Ihre Erfahrungen, Eindrücke und Erinnerungen, die ich als Projektionsfläche benutze. Die ich zwar als Projektionsfläche benutze, aber ich sehe sie nicht - nur Sie sehen sie. Ihren ganz eigenen Film. Nein, kein Film, Eindruck. Oder vielleicht eher Ausdruck. Oder Dasein. Leben. Wie Sie wollen. Hören Sie hin. Live on a loop. In unserer Allerweltssprache. Die endlosen Sätze, die gewechselt werden können. Let's dance. Oder: Just take a look. Ich mache das ja nicht für mich allein. Doch, irgendwie mache ich es für mich allein. Aber nur, weil es eben auch die anderen gibt. Dich und dich und dich und dich. Diese unbegrenzte ins endlose gehende Anzahl von Ichs. Seit Adam und Eva. Und mal von mir reden. Selbstbeschreibung. Ein prägender Moment meiner Jugend war sicher der Abend, als ich mit dem Fahrrad in den Straßen unserer Siedlung unterwegs war, auf Entdeckungstour. Sperrmüll. Das gab es damals bei uns noch so, dass zu einem bekanntgegebenen Termin einfach jeder auf die Straße stellte, was er nicht mehr wollte, was abgeholt werden sollte. Und da waren auf einmal stapelweise Platten, LPs, Vinyl - aber damals sagte, so weit ich weiß hierzulande kein Mensch Vinyl. Schallplatten halt. Gute Platten. Aussortiert. Weggeschmissen. Warum nur? Ich hatte keinen Plattenspieler. Ich ging mit der technologischen Entwicklung, hatte mir sofort einen CD-Player gewünscht. Meine Eltern hatten Platten. Und die, die Schallplatten hatten, und sich jetzt aber einen neuen CD-Spieler geleistet, die wollten offensichtlich alles in einem Medium, im neuesten, vermeintlich besten. Das Leben neu formatieren. Haben sich ihre Lieblingsalben nochmal auf CDs gekauft und die Platten landeten im Sperrmüll. Nur, dass es dann weiterging. CD, DAT, MiniDisc, Super-Audio-CD, MP3, das ganze Internet. Oder auch VHS, DVD, Blu-Ray, MPEG, das ganze Internet ... Eine Generation im technologischen Wandel. Aber es ist nicht dasselbe, habe ich irgendwann später gemerkt und mir einen Plattenspieler gekauft und noch einen. Gemerkt, dass es sich verändert hat, dass es sich verändert, die Handgriffe, die Haptik, die Einschreibung des eigenen Lebens, dass man ein Medienformat nicht verlustfrei in ein anderes überspielen kann, Schellackplatte auf CD, oder das Mixtape in die digitale Playlist, dass die überholten Formate das sichtbar machen, und dass die Vorstellung eines Archivs so schwierig wird, weil eben auch die Archivierwerkzeuge, die Abspielgeräte veralten und archivarisches Material werden. Wie die Bandmaschinen. Die benutze ich gerne, weil man - oder zumindest vielleicht noch meine Generation - da hinsieht, wo der Ton herkommt, wo er erzeugt wird. Und weil man hier eben noch was sieht. Diese Drehbewegung. Dieses Zurücklegen von Wegstrecke, Bandwegstrecke. Die Zeit aufspannen und den Raum. Und dann die Endloskassetten, wie sie in Anrufbeantwortern benutzt wurden, die Wiederholung noch wirklich mechanisch umgesetzt. Diese ganzen immer wieder abgespulten Ansagen. Live on a loop. In meiner Installation aus acht mal acht Endloskassetten geht es aber nicht darum, sachlich oder möglichst originell zu sagen, dass man nicht da ist, sondern eine minimale Kommunikation immer neu zu starten, zu wiederholen, die sich einmischen wird in die Gespräche und Gedanken der Anwesenden. Alltag. Tag um Tag. Plattitüden, gute Laune, Fragen nach dem Befinden. Immer wieder dasselbe. Immer wieder neu. Die Wörter funktionieren nur, weil sie wiederholt werden und funktionieren doch nicht, wenn sie nur noch wiederholt werden ... Das Endless-Opinion-Triptychon ist selbsterklärend, denke ich, wie so vieles hier, es spricht sich ja selbst herum. Und erstaunlich bei diesen Loops finde ich immer wieder, dass die Zeit darin hinterfragt wird, dass sie unsicher oder fast sichtbar wird, je nach dem, dass beispielsweise eine Minute zeigt, wie lange sie doch ist, als würde sie angehalten die Zeit und wie eine weite Fläche werden, viel größer, als man es sich hätte vorstellen können. Und dann nochmal. Und dann wird sie doch wieder kurz? Die minimalistisch abstrahierten Zeichnungen von Tonbandloops schließlich, die Sie an der Wand sehen, haben auch eine Geschichte. Sie entstanden 2009, als ich mit meiner Endless-Serie anfing. Vornummerierte Blätter, liniert und blanko, aus einem Durchschreibebuch ausgerissen, das ich in der 11. Klasse auf Klassenfahrt nach Berlin im Juli 1989 in Ostberlin gekauft hatte, um mein Mindestumtausch-Geld in DDR-Währung zu verbrauchen. Ich habe damals tatsächlich Din-A2 Blöcke im Zug mit heim transportiert, Notizblöcke, Lochverstärker, die man ablecken musste wie Briefmarken - und eben dieses Durchschreibebuch. Als wir in Ostberlin waren, war das noch so, der Kalte Krieg erschien endlos, die Mauer war da, schon unser ganzes Leben, und nicht abzusehen, dass sie jemals wegkäme - und wenige Wochen später ging es los. Nicht nur die Medientechnologien waren im Umbruch, im rasanten Wandel, sondern die ganze Welt. Meine Endless-Loops sind also auf Papier eines nicht mehr existierenden Staates, auf Papier, das vergilbt und seine Zeitlichkeit sichtbar in sich trägt - und eine Endlos-Retrospektive, blickt ja zurück, auf die Endlosigkeit, versammelt sie als Archiv, als historisches Faktum - und so ist das mit Ausstellungen, mit all diesen endlosen Ausstellungen und Retrospektiven, sie reichen in die Vergangenheit und bringen diese ein Stück weiter in die Zukunft - und spielen dabei ganz im Jetzt.

Nikolai Vogel
verfasst am 24 Februar 2015, Uraufführung von Kassette am 12. Mai 2015

"Endless Retrospective" - Ausstellungsbilder


Photo © by Eltorn
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